Clara Grunwald (1877 – 1943)

ClaraGrunwaldClara Grunwald wurde am 11. Juni 1877 in Rheydt geboren. Ihre Eltern waren jüdischen Glaubens und entsprechend wurde sie erzogen.

Ihr Vater war ein jüdischer Rabbiner und Religionslehrer. Soviel wir wissen war er ein ausgeglichener, heiterer und gütiger Mann. Clara mochte ihn gern.

Claras Mutter dagegen muss misstrauisch, zänkisch und rechthaberisch gewesen sein. Sie war Tochter wohlhabender Eltern gewesen und musst nun mit viel weniger Reichtum zurechtkommen, was ihr wahrscheinlich nicht recht gefiel. Mit ihrer Tochter Clara verstand sie sich gar nicht gut. Sie glaubte sogar dem Dienstmädchen mehr als ihrer Tochter. Schwärzte das Dienstmädchen Clara wegen irgendwelcher Kleinigkeiten an, so schlug die Mutter Clara. Das kam fast täglich vor.

Die Familie hatte insgesamt 11 Kinder, drei davon starben allerdings schon als kleine Kinder. So blieben sechs ältere Brüder, Clara und ihre jüngere Schwester Emmy. Mit ihren Brüder verstand Clara sich gut und übernahm als Mädchen die Aufgabe, sie mit zu versorgen. Mit ihrer jüngeren Schwester wurde Clara nie so recht vertraut. Aber auch ihr gegenüber fühlte sie sich verantwortlich. Als Emmy ihr Medizinstudium begann, unterstütze Clara sie, weil sie schon verdiente, mit einem Geldbetrag. Ihr selbst wurde es nicht ermöglicht zu studieren, obwohl sie es wahrscheinlich auch gerne getan hätte.

Als Clara einen Beruf wählen musste, wusste sie, dass sie gerne etwas machen wollte, wobei sie ihre Ideen über die Erziehung von Kindern verwirklichen konnte. Was sie selbst in ihrer Kindheit erlebt hatte, war für sie enttäuschend gewesen und darum wollte sie es besser machen. So besuchte sie pädagogische Seminare und ließ sich zur Volksschullehrerin ausbilden. Am Ende dieser Ausbildung erhielt sie die Lehrberechtigung für Zehnklassen-Schulen, die hauptsächlich von Arbeiterkindern besucht wurden. Die Kinder reicherer Eltern besuchten andere Schulen.

Ihre erste Stellung erhielt Clara Grunwald in Berlin an der LuiseOttoPetersSchule. Sehr schnell merkte sie, was sie als Erstes ändern wollte: Sie wollte die Noten abschaffen. Die Kinder, die schlechte Noten bekamen, gaben sich deswegen nicht mehr Mühe beim Lernen und schlauer wurden sie davon auch nicht. Clara merkte, dass es viel wichtiger war sie zu ermutigen und ihnen persönlich zu helfen.

Es war gar nicht so leicht, die Genehmigung dafür zu bekommen, keine Noten geben zu müssen, aber scheinbar war Clara so überzeugt von ihrer Idee, dass sie sich durchsetzen konnte.

Auf einem mehrtägigen Klassenausflug stellte Clara fest, dass ihre kleinen Schülerinnen und Schüler es sehr gerne mochten, wenn Clara ihnen abends einen Gute­Nacht­Kuss gab. Sie hatten ein großes Bedürfnis nach liebevoller Beachtung. Und wenn sie so liebevoll behandelt wurden, konnten sie sich auf einmal viel besser anstrengen und konzentrieren, sie lernten also viel besser und mehr als voher, als sie sehr streng und unpersönlich behandelt wurden. Darum machte Clara es zu ihrem Grundsatz, alle Kinder liebevoll und verständnisvoll zu behandeln.

Auch bei schwierigen und sehr langsam sich entwickelnden Kindern hatte sie damit großen Erfolg. Es dauerte nicht lange, da wurden ihr alle schwer erziehbaren und problematischen Kinder geschickt und oft erreichte sie es mit ihrer Methode, dass die Kinder sich bald wieder ganz normal entwickelten.

Eins dieser Kinder war Bertel Elmenreich. Sie konnte mit acht Jahren weder lesen noch schreiben. Sie war intelligent genug, aber sie schlief im Unterricht immer ein. Clara bekam heraus, dass die Ursache in der Familie lag. Bertel wurde einfach zu sehr vernachlässigt. Clara adoptierte sie als Pflegetochter und sorgte für eine gute schulische Entwicklung. Am Ende der Schulzeit schickte sie sie in eine Gartenbauschule. Sie war eine solch vernünftige und nette Frau geworden, dass der Leiter der Gartenbauschule und sie bald heirateten und zwei Kinder miteinander bekamen.

Nach dem Ersten Weltkrieg las Clara die Bücher der italienischen Pädagogin Maria Montessori und war begeistert von ihren Ideen. Darum versuchte sie, diese auch in Deutschland zu verwirklichen. Die Kinder sollten nicht mehr nur still sitzen und ausschließlich zuhören in der Schule, sondern sie sollten möglichst viel selbstständig tun können. Dabei sollten sie Neues entdecken und sich Wissen erwerben, sie sollten aus ihren eigenen Erfahrungen lernen. Das war damals etwas völlig Neues, denn in den üblichen Schulen waren nur Disziplin und Respekt vor dem Lehrer gefragt und lernen konnte man nur, indem man sich merkte, was er sagte und was in den Büchern stand. Wenn man Fehler machte, wurde man bestraft, statt Hilfe und Zeit zu bekommen, um es besser zu machen. In Schulen konnte sie diese Ideen von Maria Montessori nicht verbreiten, aber sie gründete Kinderhäuser, in denen es den Kindern besser gehen sollte.

Clara erlebte den Ersten Weltkrieg, in dem auch einer ihrer Brüder verletzt wurde. Sie empfand diesen Krieg als so grausam und unmenschlich, dass sie sich sagte: Mit einem solchen Gott, der das alles zuläßt, will ich nichts zu tun haben. Sie trat aus der jüdischen Gemeinde aus und lebte als Atheistin.

Erst 1933 ­ nach der Machtübernahme Hitlers ­ trat Clara der jüdischen Gemeinde wieder bei. Jedoch nicht aus innerer Überzeugung, sondern weil sie sich mit den anderen jüdischen Menschen verbunden fühlte und ihr Schicksal mit ihnen zu teilen bereit war. Ihr Schicksal, das ist Verleumdung und Verfolgung wegen ihres anderen Glaubens, Benachteiligung und Ausgrenzung und schließlich Vernichtung durch eine unmenschliche Organisation von Massenmorden.

Zwischen 1933 und 36 wurden z.B. auch die Kinderhäuser, die Clara gegründet hatte, verboten und geschlossen. Außerdem gab es für jüdische LehrerInnen bald ein Lehr­Verbot, so dass Clara arbeitslos war.

Sie fand schnell eine neue Aufgabe. Da alle jüdischen Menschen nun in der Gefahr standen, in Konzentrationslager abtransportiert zu werden, versuchte Clara mit Hilfe von Freunden, so vielen Juden wie möglich die Ausreise aus Deutschland in ein anderes Land zu organisieren. So konnte sie viele Menschen vor dem Konzentrationslager retten. Sie selbst hatte offensichtlich wenig Angst um ihr Leben oder vergaß sie vielleicht über der vielen Arbeit, die zu bewältigen war.

1941 ­ sie war nun schon 64 Jahre alt ­ begann wieder eine neue Aufgabe: Mit ihrer „Adoptivtochter“ und deren Mann durfte sie in eines der Umschulungsgüter, wo jüdische Menschen auf die Arbeit in der Landwirtschaft vorbereitet wurden. Die „Nazibehörden“ erlaubten das, weil sie hofften, auf diese Weise jederzeit billige landwirtschaftliche Arbeiter abrufen zu können, wann immer sie welche brauchten. Es war das Gut Neuendorf bei Fürstenwalde an der Spree. Bevor sie Berlin verließ, verschenkte Clara vieles von ihrem Besitz, da sie kaum etwas mitnehmen durfte. Ihre Freundin Charlotte Joel, eine sehr gute und bekannte Fotografin konnte sie mitnehmen. Charlotte hatte über all ihrer vielen Arbeit gar nicht bemerkt, dass sie als Jüdin in Deutschland gefährdet war. Eines Tages nahm man ihr das Fotoatelier in Berlin weg und vertrieb sie sogar aus ihrer Wohnung, so dass sie nicht wusste, wohin sie gehen sollte. Sie wurde zu Clara geschickt und die nahm sie vorübergehend auf. Sie freundeten sich an und so war es Charlottes größter Wunsch, mit Clara nach Neuendorf zu gehen.

Auch in Neuendorf kümmerte Clara sich wieder um die Kinder. Unterricht mit schriftlichen Aufgaben durfte sie nicht erteilen, schreiben durften nur die Erwachsenen; aber sie ging mit den Kindern in die Natur, erzählte ihnen viel Wissenswertes und ließ sie z.B. nützliche Kräuter sammeln. Sie lehrte die älteren Kinder Englisch sprechen. Außerdem durften sie alle die vorhandenen Bücher lesen. War es doch einmal nötig, etwas aufzuschreiben, so schrieb man mit Stöckchen in den Sand, was dann ganz schnell wieder auszuwischen war.

Im Frühjahr 1943 wurde die landwirtschaftliche Arbeit des Gutes Neuendorf von russischen Kriegsgefangenen übernommen, alle jüdischen Menschen, die bisher hier gelebt hatten, wurden abtransportiert. Wer über 60 Jahre war, kam ins Lager Theresienstadt, wo es eine Überlebenschance gab. Alle anderen wurden ins Konzentrationslager Auschwitz transportiert, wo sie umgebracht wurden. Clara hätte also die Möglichkeit gehabt, zu überleben. Aber sie wollte weder ihre jüngere Freundin noch die Kinder allein lassen und hat darum den zuständigen Parteibeamten überredet, sie mit nach Auschwitz transportieren zu lassen. Dort wurde sie 1943 umgebracht.